«Frauen haben ihren Platz in der Friedensförderung und es ist an uns Frauen, diese Verantwortung wahrzunehmen»
Sandra Stewart-Brutschin, Kommunikation SWISSINT, sprach mit Divisionär Germaine J.F. Seewer, Kommandant Höhere Kaderausbildung der Armee (HKA).
04.01.2021 | Kommunikation SWISSINT, Sandra Stewart-Brutschin
Frau Divisionär, 2000/2001 leisteten Sie Ihren ersten friedensfördernden Einsatz im dritten und vierten SWISSCOY-Kontingent im Kosovo. Was hatte Sie zu diesem Schritt bewogen?
Mein Interesse an einem friedensfördernden Einsatz war schon früher geweckt worden und zwar durch einen Bericht in unserer lokalen Tageszeitung. Darin wurde ein Militärbeobachter in seiner Tätigkeit portraitiert. Für mich war klar: Auch ich könnte meinen Beitrag leisten! Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit beim VBS stellte ich mich für einen Einsatz in der SWISSCOY zur Verfügung und flog im September 2000 als Angehörige des dritten Kontingents in den Kosovo. Aufgrund personeller Strukturen verlängerte ich mein Engagement darüber hinaus, so dass ich noch einige Wochen im vierten Kontingent diente.
2004 waren Sie als Militärbeobachter der UNO-Mission UNMEE in Äthiopien und Eritrea stationiert. Gab es Gemeinsamkeiten dieser beiden Einsätze?
Die Friedensförderung! Und damit einhergehend das neutrale Auftreten und die internationale Zusammenarbeit. Ansonsten waren die beiden Einsätze sehr verschieden. In der SWISSCOY war ich Teil eines Schweizer Kontingents mit 160 Angehörigen, die mehrheitlich im selben Camp untergebracht waren. In der UNMEE waren wir lediglich zwei Schweizer Offiziere, die in ein internationales Team integriert und an unterschiedlichen Standorten stationiert waren. Aufgrund anderer Organisationsstrukturen ist man als Militärbeobachter vor Ort für vieles auf sich alleine angewiesen. Für den Einsatz in Äthiopien und Eritrea konnte ich definitiv von meinen Erfahrungen bei der SWISSCOY profitieren.
Worin lag die grösste Herausforderung?
Bei der SWISSCOY war ich unter meinesgleichen, das heisst in einem Schweizer Kontingent mit bekannten Abläufen und gemeinsamem Verständnis. In Afrika musste ich zuerst einmal ein paar Gänge runterschalten! Zeit und Termine sowie vermeintlich getroffene Abmachungen erhielten plötzlich eine andere Bedeutung. Auch das Rollenverständnis für weibliche Offiziere als Militärbeobachter mit gleichen Rechten und Pflichten war nicht überall gegeben.
Warum ist es wichtig, dass es mehr Frauen in der Friedensförderung gibt?
Frauen spielen eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft und können und sollen sich auch mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen einbringen, hier und anderswo! Ich erinnere mich gerne an den persönlichen Austausch mit den anderen einsatzleistenden weiblichen Armeeangehörigen unterschiedlicher Nationen, der jeweils sehr unkompliziert war. Äusserst interessant waren auch die unzähligen Gespräche mit den lokalen Frauen in meinen Einsatzgebieten über ihre Rolle und ihr Schicksal. Der Zugang von Frau zu Frau gestaltet sich einfacher und somit können auch heiklere Themen angesprochen werden. Und diese heikleren Themen können wir Frauen wiederum unseren männlichen Teamkollegen aufzeigen und näherbringen. Somit wird mit der Präsenz von Peacekeeperinnen ein klares Zeichen gesetzt, dass die Frauen vor Ort in den Friedensförderungsprozess eingebunden werden müssen.
Wenn man als Frau einen friedensfördernden Einsatz leistet, muss man sich aber auch jeweils der Rolle, welche die Frau in den jeweiligen Kulturen hat, bewusst sein und Verständnis dafür haben.
Inwiefern haben diese friedensfördernden Einsätze Ihr ziviles und berufliches Leben geprägt?
Meine Einsätze und meine Tätigkeit im Kommando SWISSINT waren sehr bereichernd. Dabei konnte ich mit Menschen unterschiedlichster Nationen zusammenarbeiten und einen Einblick in diverse Kulturen, Länder und Organisationen gewinnen. Ich durfte Menschen kennen lernen, denen ich sonst nie begegnet wäre. Daraus ergab sich ein soziales Netzwerk, weil man dasselbe oder ähnliches erlebt hat. Etwas, was zuhause nicht immer einfach erklärbar und verständlich ist. Mit einzelnen Kameradinnen und Kameraden entstanden enge Freundschaften über die Landesgrenzen hinaus, die heute noch Bestand haben.
Aber auch beruflich knüpfte ichinternationale Kontakte von unschätzbarem Wert, die ich später als direkte Punkt zu Punkt Verbindung nutzen konnte. Im internationalen Austausch stellte ich schon manchmal fest, dass ich mit meinen Gesprächspartnern gleichzeitig an derselben multinationalen Übung teilgenommen hatte oder in der derselben Mission gewesen war. Das verbindet.
Ferner haben Begriffe wie Sicherheit und Freiheit eine andere Dimension angenommen: Was für uns hierin der Schweiz selbstverständlich ist, kann wenige Flugstunden entfernt eine ganz andere Bedeutung haben. So benutze ich noch heute grundsätzlich befestigte Wege und schätze, dass bei uns sauberes Trinkwasser aus dem Hahnen fliesst. Die friedensfördernden Einsätze gaben mir Bilder, die unauslöschlich eingraviert sind – wunderschöne und auch andere …
Wie würden Sie eine Frau für ein Engagement als Peacekeeperin motivieren?
Ein Einsatz als Peacekeeperin ist sehr bereichernd. Man erlebt andere Kulturen und Menschen, lernt sich selber in unterschiedlichsten Situationen besser kennen und gewinnt an Lebenserfahrung, von der man im privaten und beruflichen Umfeld profitieren kann.
Frauen haben ihren Platz in der Friedensförderung und es ist an uns Frauen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Ich habe den Entscheid, mich in der Friedensförderung vor Ort zu engagieren, nie bereut.