Herausforderungen der UNO im Feld – Afrika im Fokus
Vor Kurzem feierte die UNO 75 Jahre Friedenssicherungseinsätze. Aufgabe dieser Missionen ist es weltweit zum Schutz der Zivilbevölkerung beizutragen. Welche Rollen spielen sie in Zukunft? Afrika im Fokus.

Text Matthias Rast und Daniel Palmer, diplomatische Mitarbeiter, Sektion Sicherheitsrat in der Abteilung UNO, EDA
Die Friedensförderung geht mit der Zeit. Sie wurde an das sich verändernde Umfeld, die neuen politischen Realitäten und Bedürfnisse der Einsatzländer angepasst. Anfänglich hatten die Missionen das Mandat zwischen kriegsführenden Staaten zu vermitteln. Aber seit über zwanzig Jahren geht es bei diesen Einsätzen auch um die Auseinandersetzung mit den Ursachen von Konflikten, namentlich bei internen Konflikten. Obwohl die Aufgabe dieser UNO- Friedensförderungseinsätze komplexer geworden ist, gelten immer noch die gleichen drei Grundsätze wie zu Beginn: a) Zustimmung der Parteien, d. h. Einhaltung der nationalen Souveränität, um nicht Gefahr zu laufen selber Konfliktpartei zu werden; b) Unparteilichkeit, d. h. Gleichbehandlung der Konfliktparteien durch die UNO und Beurteilung ihrer Handlungen in Bezug auf die UNO-Charta; c) Nichtanwendung von Gewalt, ausser zur Selbstverteidigung und zur Verteidigung des Mandats. Diese Grundsätze haben dazu beigetragen, dass die UNO-Missionen auch in einer Zeit relevant bleiben, in der immer mehr Akteure Einfluss auf die nationale und regionale Sicherheit nehmen.
Drei multidimensionale Missionen in Afrika
Der afrikanische Kontinent war ein fruchtbarer Boden für Ansätze, die Frieden und Sicherheit ganzheitlich fördern wollen. Während die multidimensionalen Friedensmissionen weltweit zurückgehen, gibt es in Afrika immer noch drei grosse multidimensionale Missionen: die MINUSCA in der Zentralafrikanischen Republik, die MONUSCO in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und die UNMISS im Südsudan. Die MINUSMA in Mali wurde Ende 2023 beendet. Obwohl die drei Missionen ihre Eigenheiten haben, weisen sie auch Gemeinsamkeiten auf: Sie verfügen über ein Jahresbudget von mehr als einer Milliarde US-Dollar, umfassen mehr als 10 000 Uniformierte sowie eine umfangreiche zivile Komponente und sind in einem zunehmend komplexeren Umfeld tätig. Sie teilen auch dem Umstand, dass sie vor gut zehn Jahren mandatiert wurden, mit Ausnahme der MONUSCO, die bereits seit über 25 Jahren besteht.
Zunehmender Kritik ausgesetzt
Obwohl diese Missionen nach wie vor einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Sicherheit leisten, werden sie von den Gastländern, den regionalen Akteuren und namentlich auch von einigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats zunehmend hinterfragt. Reformen sind geplant. Die MONUSCO befindet sich in einer Übergangs- und Rückzugsphase, wenn auch allmählich und schrittweise, mit einem Planungshorizont bis mindestens Ende 2025. Die Strategie der MINUSCA wurde erst kürzlich überprüft. Die Ergebnisse werden sich auf ihr neues Mandat, das zurzeit diskutiert wird, auswirken. Die UNMISS behält ihre Truppenstärke und ihr Mandat bei. Sie ist auf der Suche nach einer strategischen Neuausrichtung, da kaum mit politischen Fortschritten zu rechnen ist. Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit und der Fähigkeit dieser Friedensmissionen, ihr Mandat zu erfüllen und sich an die sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen, sind sicher berechtigt. Bei der Beurteilung ihres Beitrags zu Frieden und Sicherheit muss jedoch auch der komplexe politische und operationelle Kontext berücksichtigt werden.
Auf politischer Ebene fordern die Gastländer immer lauter eine robustere Gangart. Die Missionen sollen vermehrt militärische Mittel als Instrument an sich und nicht als Mittel zur Erreichung politischer Ziele einsetzen. In der Demokratischen Republik Kongo erntete die MONUSCO Kritik von Seiten der Regierung und stiess zuweilen auf den gewaltsamen Widerstand der Zivilbevölkerung in den vom bewaffneten Konflikt betroffenen Gebieten, weil sie zu wenig hart eingegriffen habe. Um diese Wahr- nehmung zu ändern, braucht es die Unterstützung der Regierungen.
Vielfältige operationelle Herausforderungen
Auf operationeller Ebene stellen sich andere Herausforderungen: neue militärische und technologische Anforderungen an die Einsatzkräfte, Klimawandel und eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure vor Ort. Mit dem Aufkommen von Drohnen haben sich auch die Einsätze verändert. Herkömmliche Drohnen bieten den Missionen zwar neue nachrichtendienstliche und operationelle Möglichkeiten, mit Sprengladungen bestückte Drohnen hingegen stellen eine grosse Gefahr für die Sicherheit der Peacekeeper dar. GPS- und Funkstörungen beeinträchtigen die immer anspruchsvolleren friedensfördernden Missionen ebenfalls, weil sie wesentliche Kommunikations- und Navigationstools beeinträchtigen.
Im Südsudan verschärfen Klimaschocks nicht nur die Gefährdung von hundertausenden Zivilisten durch Vertreibung und eingeschränkten Zugang zu lebensnotwendigen Gütern, sondern beeinträchtigen auch die Fähigkeiten der Peacekeeper sie wirksam zu schützen. In Bentiu, der Hauptstadt des Bundesstaates Unity, benötigen die Peacekeeper Boote, um zu den Vertriebenen zu gelangen. Sie haben Deiche gebaut und instandgehalten, um die Lager der Binnen- vertrieben vor Überschwemmungen zu schützen. In einem bereits komplexen Konflikt stellen diese Probleme eine weitere Hürde dar.
Zunahme der involvierten Akteure
Auch die grosse Zahl der bilateralen Akteure vor Ort führte dazu, dass die Arbeit der Friedensmissionen noch komplexer geworden ist. Die Präsenz der Wagner-Gruppe in der Sahelzone und der Zentralafrikanischen Republik, auch «Afrikakorps» genannt, und die Auswirkungen auf den Schutz der Zivilbevölkerung haben in letzter Zeit oft für Schlagzeilen gesorgt. Es gab jedoch kaum Diskussionen darüber, wie sich beispielsweise das Teilen eines Einsatzgebiets, das ein Mindestmass an Koordination und Kommunikation erfordert, auf die Fähigkeit der MINUSCA auswirkt ihr Mandat zu erfüllen.
Ein weiteres heikles Thema ist die Vervielfachung staatlicher Sicherheitskräfte. Neben Truppen aus Uganda, Ruanda und Burundi gibt es im Osten der Demokratischen Republik Kongo zusätzlich die SAMIDRC-Streitkräfte der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC), die es der MONUSCO erschweren die Zivilbevölkerung dort wirksam zu schützen. Mangelnde Bereitschaft Einsätze mit der Mission zu koordinieren, Unklarheit über die Zuständigkeitsbereiche und unterschiedliche Kommunikationsarten behindern die Bemühungen zur Konfliktvermeidung.
Reformen in der Friedensförderung sind erforderlich
Weltweit nimmt das Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität zu. Die UNO kann in einem Einsatzgebiet nur dann als Akteurin relevant bleiben, wenn die Friedensförderung an die Gegebenheiten vor Ort angepasst wird. Die Friedensförderung hat sich als relativ kostengünstiges Instrument in Konflikten bewährt und trägt zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte bei. Der UNO-Generalsekretär hat die Notwendigkeit von Reformen erkannt. In seiner Neuen Agenda für den Frieden (New Agenda for Peace, NA4P) hat er seine Vision von flexiblen und anpassungsfähigen Friedensmissionen dargelegt. Dazu gehört auch eine stärkere zivile Komponente sowie «robustere» Missionen unter der Leitung (sub)regionaler Organisationen.
In diesem Zusammenhang haben die Mitgliedstaaten eine umfassende Überprüfung des Pfeilers Frieden und Sicherheit im Zukunftspakt und im Bericht 2023 des Sonderausschusses für friedensfördernde Einsätze gefordert. Diese Überprüfungen sind wichtig für die zukünftige Relevanz der UNO-Friedensförderung. Sie sollen die Optionen nicht einschränken, sondern vielmehr dazu beitragen den Kontext zu definieren, in dem die Friedensförderung am wirksamsten ist, und anpassungsfähige Modelle fördern, die konkrete Ergebnisse liefern.
Wenn die im NA4P vorgesehenen UNO-Friedensmissionen Realität werden, ist die Schweiz bestens qualifiziert, um ihre jahrzehntelange Erfahrung in Beobachtermissionen sowie ihr Fachwissen in den Bereichen Mediation, Vergangenheitsarbeit, Förderung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit einzubringen. Die Schweiz kann in Zukunft eine aktive Rolle bei der Umgestaltung der UNO-Feldmissionen spielen.


