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Veröffentlicht am 12. Juni 2025

8 - Umstrittene Waffenplätze

Die Konflikte rund um das Breitfeld und Neuchlen-Anschwilen spiegeln das Spannungsfeld zwischen militärischer Ausbildung, Landwirtschaft und Naturschutz wider.

Appenzellerzeitung zum Bau des Waffenplatzes Neuchlen-Anschwilen (19.03.1990)

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Unterhalb von Herisau ist das Übungsgelände Breitfeld deutlich zu erkennen. Auf der anderen Seite des Hügels, von hier aus nicht sichtbar, liegen die Kaserne Neuchlen-Anschwilen und ein weitläufiger Ausbildungskomplex, der unter anderem ein Dorf für den Ortskampf umfasst. Es ist das Trainingsgelände der Infanterieschule 11 und der Berufsunteroffiziersschule der Armee (BUSA). Die gesamte Region gehört zu den beliebtesten Naherholungsgebieten der Agglomeration St. Gallen und umfasst zudem ein Naturschutzgebiet. Die Schnittstellen zwischen zivilen und militärischen Interessen sind hier zahlreich und nicht immer konfliktfrei. Und das ist keineswegs neu …

Als Herisau 1874 das Breitfeld erwirbt, geschieht dies zur Sicherung seiner militärischen Zukunft. Die bis dahin vorhandenen Übungsmöglichkeiten reichen nämlich für eine mittlerweile zentralisierte Armee nicht mehr aus. Das Gelände, das von Offiziersvereinigungen aus Appenzell und St. Gallen entdeckt worden war, stellt eine willkommene Gelegenheit dar, die die Gemeinde umgehend ergreift. Herisau erlaubt dem Bund, das gesamte Areal als Waffenplatz zu nutzen. Gemäss Vertrag verpflichtet sich die Gemeinde, für sämtliche Schäden im Zusammenhang mit Schiessübungen aufzukommen und allfällige Reklamationen selbst zu regeln, eine Klausel, die ihr später erhebliches Kopfzerbrechen bereiten wird.

Während früher mit Platzpatronen geschossen wurde, verlangen neue Ausbildungsmethoden nun Übungen in Bewegung mit scharfer Munition. Die Landwirte in der Umgebung des Breitfelds fühlen sich dadurch bedroht und in ihrer Arbeit beeinträchtigt. Gegen eine Entschädigung von über 11'000 Franken stimmen sie zu, die Schiessübungen bis 1880 zu dulden. Eine Verlängerung dieser Vereinbarung scheitert jedoch an immer höheren Forderungen. Die Bauern bleiben hart und erwirken ein Verbot. Die Zukunft des Waffenplatzes, in den Herisau beträchtliche Summen investiert hat, ist damit infrage gestellt. Der Gedanke, ihn dem Bund zu übergeben, setzt sich durch. 1882 übergibt der Kanton die Kaserne samt Nebengebäuden unentgeltlich, während die Gemeinde das Breitfeld zum Selbstkostenpreis verkauft. Im Jahr darauf erwirbt der Bund auch die Ländereien der widerspenstigen Bauern. Allmählich kehrt Ruhe rund ums Breitfeld ein, ein vielseitig genutztes Gelände, das zwischen 1911 und 1931 sogar als Flugplatz dient, mit Linienflügen nach Zürich und Basel ab 1927.

Ende der 1980er Jahre sorgt ein Projekt zur Erweiterung der militärischen Infrastruktur erneut für Spannungen in der Region. Ein neuer Waffenplatz in Neuchlen-Anschwilen soll die Anlagen im Breitfeld ersetzen, die dem Bau der Autobahn weichen mussten. Während die Behörden das Vorhaben weitgehend unterstützen, regt sich in der Bevölkerung Widerstand. Die Annahme der Rothenthurm-Initiative im Jahr 1987, die sich gegen die Errichtung eines Waffenplatzes in einem Moorgebiet richtete, dient dabei als Inspirationsquelle für die Protestbewegung. 1989 entsteht die Aktionsgruppe zur Rettung von Neuchlen-Anschwilen (ARNA). Kritisch gegenüber dem Militär setzt sie sich für den Umweltschutz ein und zeigt sich solidarisch mit den von Enteignung bedrohten Landwirten.

Nachdem alle politischen Versuche, das Projekt zu stoppen, gescheitert sind, beginnen im April die Bauarbeiten. Daraufhin werden Blockadeaktionen organisiert. Die Protestbewegung vereint eine breite Palette von Menschen: Landwirte, pazifistische und ökologische Aktivistinnen und Aktivisten, Kirchenvertreter, engagierte Personen aus der linken Zivilgesellschaft sowie progressive Parteien. Bis Ende 1991 leben dauerhaft Menschen in einem von der Gewaltfreien Opposition Neuchlen-Anschwilen (GONA) errichteten Widerstandscamp unweit der Baustelle. Die Besetzung bringt einen selbstverwalteten Raum politischer Bildung hervor, in dem gemeinsam diskutiert, reflektiert und gelernt wird, etwa im Rahmen von Sommeruniversitäten zu gesellschaftlichen Fragestellungen. Der gewaltfreie Widerstand bleibt nicht ohne Gegenreaktionen, zum Teil auch gewaltsamer Art. Im Juni 1990 wird das Camp von etwa einem Dutzend maskierter Rechtsextremer brutal überfallen.

Politisch führt der Widerstand gegen den Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen zur Einreichung der Volksinitiative «40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär». Sie fordert ein Verbot für den Bau neuer oder die Erweiterung bestehender militärischer Übungs-, Schiess- oder Flugplätze. Ihre Annahme hätte das Aus für das St. Galler Projekt bedeutet. Vor Ort bleiben die Aktivistinnen und Aktivisten zwar engagiert, doch die Erschöpfung macht sich bemerkbar und die mediale Aufmerksamkeit lässt nach. Mit dem Ausbruch des Golfkriegs verliert die Friedensbewegung an Schwung. Die Initiative wird 1993 mit 55,3 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.

Auch wenn der Bau des Waffenplatzes Neuchlen-Anschwilen zur Zerstörung bestimmter Biotope geführt hat, trägt die Präsenz der Armee paradoxerweise auch zur Entstehung ökologischer Nischen bei. Zwar hat das militärische Training Vorrang, doch der Umweltschutz nimmt heute einen wichtigen Stellenwert ein, und die Armee engagiert sich aktiv für den Erhalt von Flora und Fauna. Zwischen den verschiedenen militärischen Anlagen erstrecken sich Magerwiesen, Hecken, Teiche und Waldgebiete. Besonders das Breitfeld-Gelände beherbergt zahlreiche seltene Vogel- und Amphibienarten. Im Jahr 2023 wurden dort auf nur einem Quadratkilometer nicht weniger als 42 Brutvogelarten gezählt. Das Zusammenleben scheint also im Grunde zu funktionieren. Und selbst die Krokodile des benachbarten Zoos scheinen nicht zu widersprechen: Ihre Fortpflanzungsaktivität soll durch die Bodenerschütterungen beim Granatenwurf angeregt werden…

Waffenplatz Breitfeld 1989

Waffenplatz Breitfeld 1997 mit der Kaserne Neuchlen und den neuen Plätzen Anschwilen

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