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Veröffentlicht am 12. Juni 2025

3 - Wenn der Hirt zum Soldaten wird: das Wehrmannsdenkmal

Das 1921 eingeweihte Wehrmannsdenkmal vereint die Gestalten des Hirten und des Kriegers zu einem Sinnbild des wehrhaften Schweizers.

Einweihung Soldatendenkmal 1921

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Die Geschichte des Appenzellerlands ist eng mit dem Militärwesen verbunden. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts führt der Wille der Äbte von St. Gallen, ihre Autorität über die Region durch die Rückforderung lange kaum ausgeübter Rechte zu bekräftigen, zu einem Bauernaufstand. Dank zweier entscheidender Siege bei Vögelinsegg (1403) und Stoss (1405) erlangen die Appenzeller eine weitreichende Autonomie. Diese kriegerische Tradition setzt sich weit über die Kantonsgrenzen hinaus fort. Seit dem 16. Jahrhundert eröffnet der fremde Kriegsdienst jungen Männern einen Weg zu Ehre und Anerkennung, vor allem aber zu wirtschaftlichen Perspektiven. Während die Söhne wohlhabender Familien Offiziersränge und die damit verbundenen Einkünfte anstreben, sehen junge Bauern aus armen Verhältnissen im Solddienst ein Mittel zum Lebensunterhalt.

Im 16. Jahrhundert wird der fremde Kriegsdienst zur wichtigsten Einnahmequelle des Staates, getragen von regelrechten Militärunternehmern, die eigene Truppen aufstellen und beträchtliche Vermögen anhäufen. Es entstehen Söldnerdynastien, die ihre Namen dauerhaft in der lokalen Geschichte verankern. Diese militärische Berufung fordert jedoch einen hohen menschlichen Preis: Zwischen 1671 und 1720 fallen 17 % der Männer aus Herisau auf fremden Schlachtfeldern. Militärische Interessen prägen auch die politische Teilung des Appenzellerlands. Während sich die Ausserrhoder weiterhin in den Dienst des französischen Königs stellen wollen, der bis dahin das Monopol auf die Söldnerrekrutierung innehatte, ziehen es die Innerrhoder vor, dem spanischen König zu dienen. Dieser Konflikt führt 1587 zur offiziellen Teilung Appenzells in zwei Halbkantone.

In Appenzell war die Wehrpflicht eine Voraussetzung für die vollen Bürgerrechte. Nur wer ein Schwert trug, durfte an der Landsgemeinde teilnehmen. Wer hingegen von einem Gericht für wehrlos erklärt wurde, eine Strafe, die Eidbrüchigen oder Aufrührern vorbehalten war, verlor seinen Platz in der Gesellschaft. Mit dem Ausbleiben von Bedrohungen und dem Rückgang des fremden Kriegsdienstes im Verlauf des 17. Jahrhunderts traten militärische Fragen jedoch zunehmend in den Hintergrund. Die ausserrhodischen Truppen, bestehend aus mehreren Kompanien und freien Korps, kamen nur noch selten zum Einsatz und nahmen in mancher Hinsicht einen zeremoniellen Charakter an. Dennoch blieb die Tradition Herisaus als militärischer Standort lebendig. Im 17. und 18. Jahrhundert diente die Gemeinde als Sammelpunkt für die Hinterländer Dörfer und verfügte über ein Zeughaus sowie einen Pulverturm. Auch im modernen Bundesstaat setzte sich diese Rolle fort. 1865 machte sich die Gemeinde stark für die Stationierung von Truppen, indem sie den Bau einer Kaserne aus eigenen Mitteln finanzierte. Seither engagiert sie sich kontinuierlich für den Erhalt ihres Waffenplatzes.

Während Soldatendenkmäler in der Schweiz selten sind, überrascht es kaum, dass Herisau eines besitzt, so tief ist das Militärwesen in der kollektiven Identität der Gemeinde verankert. Die Initiative ging vom Unteroffiziersverein Herisau aus, unterstützt von der örtlichen Offiziersgesellschaft. Die Spendensammlung war so erfolgreich, dass nur die Hälfte der Mittel für die Finanzierung der Skulptur benötigt wurde, die andere Hälfte kam sozialen Zwecken zugute. Der aus Herisau stammende Bildhauer Walter Mettler (1868-1942) wurde mit der Ausführung des Werks betraut. Es zeigt einen jungen, kauernden Mann, der ein Schwert mit der Spitze nach unten hält. Als Bauer oder Hirt verkörpert er einen Mann aus dem Volk, der seinen Blick auf die Grenze richtet und seine Waffe nur zur Verteidigung der Heimat erheben wird. Kleidung und Bewaffnung erinnern an die alten Appenzeller Krieger. Das Denkmal wurde 1921 am Fusse der Kirche, in der Nähe eines weiteren Erinnerungsortes, des Gedenksteins für die 21 im Jahr 1871 verstorbenen französischen Internierten, eingeweiht. 1950 wurde es durch eine Gedenktafel für die während des Zweiten Weltkrieges verstorbenen Soldaten ergänzt.

Die im Wehrmannsdenkmal dargestellte Figur ist alles andere als zufällig gewählt. Bereits im 18. Jahrhundert nährt das Bild der Schweizer als Hirtenvolk, Hüter einer ursprünglichen sozialen Ordnung, die Vorstellungskraft von Künstlern und politischen Denkern. Der Hirt, Symbol für Freiheit und tugendhafte Schlichtheit, wird allmählich zu einer Schlüsselfigur der nationalen Identitätsbildung. Auch wenn diese idyllische Vorstellung eines ländlichen, zeitlosen Helvetiens an der Wende zum 20. Jahrhundert etwas überholt erscheint, erlebt sie in der Zwischenkriegszeit, einer Epoche patriotisch-traditionalistischer Kulturblüte, eine neue Aktualität. In einer instabilen Welt bieten Rückbezüge auf ländliche Traditionen Halt und Orientierung. Zuvor als überholt geltende Ausdrucksformen erleben eine überraschende Wiederbelebung. Man entdeckt oder erfindet Bräuche neu, die in Vergessenheit geraten waren oder in dieser Form vielleicht nie existiert hatten. Volkstrachten, Volksmusik und festliche Bräuche wie die Silvesterchläuse gewinnen neue Lebendigkeit. In diesem Klima der Identitätsneubestimmung verschmelzen die Gestalten des Hirten und des mutigen Kriegers zum Archetyp des wehrhaften Schweizers, ein Ideal, das Mettler in seiner Skulptur zum Ausdruck bringt.

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