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Veröffentlicht am 12. Juni 2025

11 - Fit für die Armee: vom Kadettenkorps zum Turnunterricht

In Herisau prägten die Kadetten über ein Jahrhundert lang das schulische und öffentliche Leben. Ihre Teilnahme am Jugendfest machte sie zu einer festen Institution. Mit der Zeit rückte jedoch der Turnunterricht als militärische Vorbereitung zunehmend in den Vordergrund.

Kinderfest auf dem Kreckel 1923; Sturm der Kadettenburg

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Ab dem späten 18. Jahrhundert entstehen in der Schweiz Kadettenkorps nach französisch-deutschem Vorbild. Im Zuge der Herausbildung des Nationalstaats erleben diese militärischen Jugendformationen, die Jungen im Alter von 10 bis 15 Jahren im Schiessen, Exerzieren und Manövrieren unterweisen, im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts einen spektakulären Aufschwung. 1874 gibt es landesweit über 150 solcher Einheiten. Die Teilnahme ist für Schulkinder teilweise obligatorisch und Ausdruck einer zunehmenden Zusammenarbeit zwischen Schule und Armee. Die für die Programme zuständigen Schulbehörden werden vom Bund unterstützt, der Offiziere und geeignetes Material zur Verfügung stellt. Die Kadetten entwickeln sich zu einer angesehenen lokalen Institution, die an Festumzügen teilnimmt und mitunter von einer eigenen Marschmusikabteilung begleitet wird.

Die zunehmende Bedeutung des Turnens, das als Vorbereitung auf den Militärdienst gedacht ist, stellt die Rolle der Kadettenkorps allmählich in Frage. Nach der Einführung eines obligatorischen Knabenturnens an den Schulen im Zusammenhang mit der Militärorganisation von 1874 geht die Zahl der Kadetten zurück. Selbst in militärischen Kreisen beginnt man am Nutzen des Drills für die Jugend zu zweifeln, da eine gute körperliche Verfassung nun wichtiger erscheint. Politisch wird deshalb der Schwerpunkt auf die Gymnastik gelegt. 1904 wird eine Turnprüfung beim Rekrutierungsgespräch eingeführt, die Weitsprung, Hantelheben und einen 80-Meter-Lauf umfasst. In der Folge unterstützt der Bund die Förderung des Turnens. 1941 verleiht ihm eine Verordnung die Kompetenz zur Ausbildung von Sportleitern, was durch die Gründung der Eidgenössischen Sportschule Magglingen konkretisiert wird, die 1944 ihren Betrieb aufnimmt.

In Herisau, wie auch anderswo in der Schweiz, gehören die Kadetten lange Zeit zu den prägenden Organisationen des lokalen Lebens. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bilden die Herisauer Knaben spontan eine militärische Truppe, indem sie die Ausrüstung ihrer Väter anlegen. 1849 ersuchen sie einen Instruktor um militärische Ausbildung. In der Folge erhalten sie mit Unterstützung einiger lokaler Persönlichkeiten Waffen, Patronentaschen sowie eine eigene Uniform. 1867 wird das Kadettenkorps der Gemeinde unterstellt, welche die Teilnahme für die Schüler der Realschule obligatorisch macht. Bereits ab 1840 nehmen die Kadetten am Herisauer Jugendfest (das heutige Kinderfest) teil. Bis 1939 bilden sie dort die Hauptattraktion und verleihen dem Anlass einen martialischen Charakter. Ihre Gefechtsübungen am Spielnachmittag gipfeln ab 1862 im Sturm auf eine selbstgebaute Burg. Zur Vorbereitung auf den Militärdienst gehört daneben auch das Turnen. Ab 1882 wird es für Knaben ab der vierten Klasse obligatorisch erklärt.

Auf politischer Ebene geraten die Kadetten in der Schweiz zunächst ins Visier katholischer Kreise, die sich gegen die an Sonntagen abgehaltenen Übungen aussprechen. In der Zwischenkriegszeit wird die Kritik dann von linker Seite laut. In Herisau lanciert die lokal stark antimilitaristisch ausgerichtete Sozialdemokratische Partei 1931 eine Initiative mit dem Ziel, die Mitgliedschaft im Kadettenkorps fakultativ zu machen. Obwohl der bürgerlich dominierte Gemeinderat gegen die Aufhebung des Obligatoriums mobilisiert, da er befürchtet, dies könnte den Klassenkampf unter den Schülerinnen und Schülern fördern, wird die Vorlage nur mit knapper Mehrheit abgelehnt. 1946 greift die SP das Thema erneut auf und verlangt nun die vollständige Abschaffung des Kadettenkorps. In der unmittelbaren Nachkriegszeit befürwortet die Herisauer Bevölkerung diese Massnahme und lehnt zugleich den Vorschlag ab, das Korps in entmilitarisierter Form weiterzuführen.

Wie wir gesehen haben, waren Kadettenwesen und Sport lange Zeit vom gemeinsamen Geist militärischer Vorbereitung getragen, wobei Letzterer nach und nach an Bedeutung gewann. In Herisau ist dieser Übergang beinahe physisch im Gelände eingeschrieben. Auf dem Sonnenfeld, wo früher die Manöver der Kadetten stattfanden, wie ein kurzer Film aus dem Jahr 1923 bezeugt, entsteht in den 1970er-Jahren ein Sportzentrum mit Unterstützung des Militärdepartements. Die Mehrzweckhalle wird so konzipiert, dass sie auch durch den Waffenplatz genutzt werden kann, und eine Einstellhalle ist in den Komplex integriert. Die Sportanlagen werden von der Berufsunteroffiziersschule der Armee (BUSA) genutzt, ein Umstand, der trotz der peripheren Lage der Stadt zur Ansiedlung der Schule in Herisau beigetragen hat.

Video: Die Kadetten im Einsatz (4:40)
Willy Leuzinger, Das Jugendfest in Herisau am 2. Juli 1923., Leuzinger, 1923-07-02, aus: Cinema Leuzinger, Cinémathèque suisse, Filmsammlung Cinema Leuzinger, 8, Online: https://memobase.ch/de/object/clg-001-01_1, Stand: 13. June 2025

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