1 - Mehr als nur eine militärische Unterkunft: die Kaserne von Herisau
Seit 1865 prägt die Kaserne Herisau das Dorfbild, als beständiger Truppenstandort, der in Krisenzeiten auch der humanitären Hilfe diente.

Anfang der 1860er-Jahre gewinnt in Herisau die Idee an Boden, eine Kaserne für die Truppen des Kantons Appenzell Ausserrhoden zu errichten. Michael Schläpfer, Redaktor und Verleger der Appenzeller Zeitung, sieht darin eine Möglichkeit, die Disziplin der Soldaten zu verbessern und die Einquartierung in Privathaushalten zu beenden, eine Praxis, die nur unzureichend entschädigt wird. Darüber hinaus hofft man, auch eidgenössische Truppen in Herisau unterbringen zu können, was der Region beträchtliche Einnahmen verschaffen würde. Schläpfer schlägt vor, die Kaserne in Eigenregie zu errichten, um zu verhindern, dass das Projekt wie das Artilleriezeughaus nach Teufen abwandert. Ein Grundstück wird von wohlhabenden Persönlichkeiten zur Verfügung gestellt, die Finanzierung erfolgt durch eine Sammlung und ein Darlehen. Doch auch Teufen, das sich als Hauptort des Kantons profilieren möchte, bringt wie befürchtet ein eigenes Projekt ins Spiel. Es entsteht ein Wettstreit zwischen den beiden Gemeinden, die sich gegenseitig mit immer neuen Versprechen zu überbieten versuchen. Die Entscheidung fällt schliesslich an der Landsgemeinde. Am 27. April 1862 sind ganze vierzehn Wahlgänge nötig, bis das Ergebnis feststeht: Herisau setzt sich durch.
Mit der Leitung des Baus, der am 12. April 1862 beginnt, wird der renommierte St. Galler Architekt Felix Wilhelm Kubly (1802-1872) betraut. Die feierliche Einweihung der Kaserne findet am 15. Mai 1865 statt. Ursprünglich mit 250 000 bis 300 000 Franken veranschlagt, belaufen sich die Baukosten schliesslich auf nahezu das Doppelte. Entgegen den Erwartungen Schläpfers beherbergt die Kaserne zunächst vor allem kantonale Truppen. Und mit der Militärorganisation von 1874, die die Armee zentralisiert, droht die Hoffnung auf eidgenössische Truppen endgültig zu schwinden. Die vorhandenen Übungsmöglichkeiten gelten als unzureichend, was der Kaserne in Herisau die Bedeutung zu entziehen droht. Um dem entgegenzuwirken, erweitert die Gemeinde die lokalen Exerzierflächen und erwirbt 51 Hektar Land auf dem Breitfeld in der Nähe von St. Gallen. 1881 übergibt der Kanton Appenzell Ausserrhoden dieses Gelände an den Bund, der den dortigen Schiessplatz von der Gemeinde kauft.
So eindrucksvoll die Kaserne von aussen erscheint, so wenig glänzend zeigt sich lange Zeit ihre innere Realität. 1888 empört sich der Chefarzt der Armee über unzumutbare hygienische Zustände in den Toiletten. Unerträgliche Gerüche breiten sich im Hof aus und beeinträchtigen den militärischen Übungsbetrieb. Die Lösung scheint offensichtlich: die Einführung einer Wasserspülung. Doch damit macht man die Rechnung ohne die nahegelegene Bleicherei Meyer. Als Laurenz Meyer einst das Gelände für den Kasernenbau zur Verfügung gestellt hatte, sicherte er sich ein exklusives Bezugsrecht auf die anfallende Jauche. Für seine Erben kommt eine Verdünnung des Düngemittels nicht infrage, und 1896 bestätigt das Bundesgericht dieses Recht. Das Servitut wird erst nach Zahlung einer stattlichen Summe von 11 000 Franken abgelöst. Doch das war nicht der einzige Vorteil, den sich Meyer gesichert hatte: Auch die Unterhaltskosten für die Wasserleitungen, von denen die Bleicherei Meyer profitierte, wurden der Kaserne auferlegt. Meyers Grosszügigkeit scheint somit nicht allein patriotisch motiviert gewesen zu sein…
In Bezug auf die Infrastruktur wird die Kaserne übrigens lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Obwohl eine Elektrifizierung bereits 1899 möglich gewesen wäre, wird sie erst 1917 realisiert. Veraltete sanitäre Anlagen, das Fehlen einer Zentralheizung und eine rudimentäre Ausstattung tragen zu ihrem schlechten Ruf bei. Sehr zum Ärger der lokalen Behörden wird sie vom Militär nur selten genutzt. Noch immer schläft man auf Strohsäcken statt auf Matratzen, und im Winter ist sie praktisch unbrauchbar. Der Zweite Weltkrieg markiert einen Wendepunkt. Nach einem besonders strengen Winter wird 1940 endlich eine Zentralheizung eingebaut. Neue Gebäude entstehen, darunter eine Krankenstation. Ab 1956 wird auch das Innere des Hauptgebäudes modernisiert. In den 2000er-Jahren erfährt die Kaserne eine umfassende Renovierung. Ein Verwaltungsgebäude und die alte Krankenstation werden abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, der Speisesaal, Unterrichts- und Sanitätsräume unter einem Dach vereint. Dieser Neubau beherbergt zudem die neue Heizungsanlage, die den gesamten Standort mit Wärme versorgt.
Die Kaserne Herisau, bis heute ein bedeutender Ort der Infanterieausbildung, wandelte sich im Laufe ihrer Geschichte immer wieder zu einem Ort des Asyls und der Hilfeleistung. So fanden im Februar 1871 über 1 500 Soldaten der Bourbaki-Armee, darunter auch «Zuaven» und «Turkos», darin Zuflucht, viele von ihnen in erbärmlichem Zustand Die nordafrikanischen Truppen riefen Erstaunen hervor: Für die einheimische Bevölkerung war es mit grosser Wahrscheinlichkeit das erste Mal, dass sie Menschen mit dunkler Hautfarbe begegnete. Während der 37-tägigen Internierung gewannen die Soldaten durch ihr vorbildliches Verhalten die Hochachtung der Bevölkerung. 21 von ihnen starben in Herisau; auf dem damaligen Friedhof im Ebnet wurde ihnen ein Gedenkstein gesetzt, der später hinter die reformierte Kirche versetzt wurde. Auch während der Spanischen Grippe von 1919 diente die Kaserne der humanitären Hilfe, indem ein Notspital eingerichtet wurde, um die zahlreichen Erkrankten zu versorgen. Im Mai 1945 trafen Überlebende nationalsozialistischer Konzentrationslager ein. Die Bevölkerung reagierte mit grosser Solidarität und stellte Kleidung, Wäsche, Schuhe sowie Blutspenden bereit. Rund 300 Personen wurden gepflegt, ein Drittel davon wegen schwerer Lungentuberkulose in Sanatorien verlegt. Zehn Patienten starben in Herisau. 1946 wurde die Kaserne erneut zum Zufluchtsort, als 1670 Waisenkinder aus Wien hier Schutz fanden. Nach einer sechstägigen Quarantäne wurden sie auf Pflegefamilien in der ganzen Schweiz verteilt, sieben von ihnen blieben in Herisau. 1956 folgte eine weitere Flüchtlingswelle, diesmal aus Ungarn, bei der 460 Menschen in der Kaserne Aufnahme fanden.
Zurück zur Startseite Kulturpfad
v).jpg?auto=format)
.jpg?auto=format)
_klein.jpg?auto=format)
.png?auto=format)
.jpg?auto=format)

