Sie wollen, was andere müssen
Neun Frauen aus den Kantonen Bern, Freiburg und Solothurn reisen im Januar ins Rekrutierungszentrum Sumiswald. Neun Geschichten, neun Erwartungen, neun Träume. Von der Floristin über die Fachangestellte Gesundheit bis hin zur angehenden Biologiestudentin sind die Berufe der Damen so verschieden wie jene ihrer männlichen Pendants. Der Unterschied: Die meisten von ihnen hatten schon lange vor, Militärdienst zu leisten, und brennen nun darauf, zu erfahren, wohin sie der Dienst führen wird.
11.03.2019 | Kommunikation Verteidigung, Ruth van der Zypen

Es ist der zweite Tag der Rekrutierung, und Olivia Geissbühler aus Trubschachen im Emmental wie auch Michelle Runkel aus Solothurn sind gespannt, zu erfahren, in welcher Funktion sie wohl Dienst leisten werden. Beide Frauen haben bereits seit ihrer Kindheit die feste Absicht, in den Militärdienst einzutreten. Ob sie den Anforderungen für ihre gewünschte Funktion genügen werden, wissen sie nach dem ersten Tag der Rekrutierung nicht. Während Geissbühler nichts Geringeres als Militärgrenadier werden möchte, hat die gelernte Landschaftsgärtnerin Runkel das Motorfahren im Auge. Der Kommandant hat ihre Unterlagen genau studiert und sein Augenmerk auf ihr Hobby gerichtet, das Klettern. Er schlägt ihr nun an diesem Morgen überraschend vor, in die Höhe zu greifen: Sie soll es doch als Gebirgsspezialistin versuchen. Runkel ist sichtlich begeistert von der Idee. Ob es klappt, ist zurzeit noch nicht ganz sicher, wegen der extrem hohen sportlichen Anforderungen.
Von Frau zu Frau
An diesem Morgen ist aus dem Kommando Rekrutierung auch die Referentin Marina Weber Tinner nach Sumiswald gefahren. Sie ist Zivilangestellte bei der Armee und leistet zudem Militärdienst, aktuell im Rang eines Hauptmanns. Privat ist sie seit kurzem frischgebackene Mutter und kann bestätigen, dass alle drei Rollen unter einen Hut zu kriegen sind. Zu ihrer heutigen meint sie: «Wichtig ist mir, dass die Frauen bei mir aus erster Hand erfahren, wie es wirklich ist, als Frau Militärdienst zu leisten. Sie sollen sich bewusst sein, worauf sie sich einlassen, und auch wissen, was ihre Vorteile sein können. Ebenso zentral ist, dass sie den Dienst für sich machen, weil sie es wirklich wollen.» Die neun anwesenden Frauen stellen denn auch umgehend jene Fragen, die ihnen auf der Zunge brennen – und die sie von einer Frau beantwortet haben möchten.
Das Ebooker-System der Armee
Nach einer Information des Kommandanten für die gesamte Gruppe inklusive Männer schwärmen alle aus für weitere Tests. Wer gerade ein paar Minuten Zeit hat, geht zu einem der zahlreichen Informationstische. Tabellen mit den freien Plätzen pro Funktion und Zeitpunkt der Rekrutenschule liegen auf. Dies ist die Ebookers-Plattform der Armee: Die begehrten Plätze schwinden wie etwa die Rekrutenschulen im Sommer und die Funktion als Grenadier. Es gilt nachzuschauen, sich zu entscheiden und zuzugreifen. Dabei ist Oberst im Generalstab Schori immer da, um Auskünfte zu erteilen, zu beraten und für jeden und jede das Optimum herauszuholen. «Ich möchte die jungen Leute dort einsetzen, wo sie anderen in einer Fähigkeit überlegen sind. Beide Seiten profitieren davon.»
Ein tierischer Adjutant
Schori findet auch ein paar Minuten für seinen Adjutanten mit dem weichen Fell, die Zentrumskatze Lili. Am Eingang ist ein Bild von ihr aufgestellt mit einer Begrüssung und der Forderung, nicht alles «tierisch ernst» zu nehmen. Lili kommt jeden Tag vom benachbarten Bauernhof ins Zentrum herüber und wurde inzwischen vom Kommandanten zum Adjutanten ernannt. Sie lässt sich von ihm streicheln, als er ein paar Unterlagen im Sekretariat abholt. «Wir haben beobachtet, dass sie auch gezielt zu Leuten geht, die nervös scheinen», bemerkt die Assistentin Christine Mathys. «Sie lässt sich streicheln und verbreitet Wohlbefinden.»
Die Erwartung wächst
Beim Mittagessen haben Olivia Geissbühler und Michelle Runkel Zeit, sich mit den anderen Aspiranten auszutauschen. Manche wissen, wie die Zuteilung am Nachmittag verlaufen wird.
Jana Aebi, Fachfrau Gesundheit, hat sich für die Sanität gemeldet und wird dort auch zugeteilt werden. Sie hat als Spezialisierung Psychiatrie studiert, ist also mehr als gut qualifiziert. «Der Orientierungstag hat mir bereits sehr gut gefallen. Ich freue mich auf das Militär und will endlich loslegen!», tönt es begeistert aus ihrem Mund. Ebenso positiv sieht die Gymnasiastin Sofia Andrews ihrem Militärdienst entgegen. Sie möchte Militärpolizei-Sicherungssoldat oder Rettungssoldat werden. Jetzt gilt es noch herauszufinden, wie sie ihre Zeitplanung optimieren kann, damit der Militärdienst mit ihrem geplanten Biologiestudium vereinbart werden kann.
Die Stunde der Wahrheit
Es ist so weit, die ersten Kandidaten sitzen vor dem Büro von Oberst Schori. Er bittet sie nacheinander herein. «Nun ist sie also gekommen, die Stunde der Wahrheit», fängt er an. Jana Aebi erhält die Kaderempfehlung und wird wie erhofft in der Funktion als Rettungssoldat bestätigt. Keine grossen Fragen, sie ist für diese Laufbahn wie geschaffen.
Und wie schaut es bei Olivia Geissbühler und Michelle Runkel aus? Bei der Emmentalerin sehen die Resultate glänzend aus. Allerdings wird sie nicht wie eigentlich erwartet für die Militärpolizei rekrutiert, sondern in der Funktion eines Führungsstaffelsoldaten. Auch dort wird die gelernte Floristin «viel Action» erleben, sie freut sich, und Oberst Schori mit ihr: «Sie erhalten die Kaderempfehlung – und dann gehen wir bis zum Hunderter durch, okay?» – «Jawohl!», kommt es ohne zu zögern zurück. Ein Handschlag, und der Dienst ist beschlossene Sache.
Für Michelle Runkel hat der Kommandant im Kompetenzzentrum des Gebirgsdiensts Andermatt einen zweitägigen Besuch für Eignungstests vereinbart. Vielleicht klappt es. Und wenn nicht, ist ja auch die Funktion als Motorfahrer eine gute Alternative.
Ein Handschlag, und eine weitere Frau verlässt das Gebäude als Militärdienstpflichtige. Es ist ein Tag voller Emotionen: mal gibt es eine Planänderung, manche Erwartung wird dafür übertroffen. Eine Gruppe Frauen kommt ihrem lang gehegten Ziel einen grossen Schritt näher. Alle leisten sie freiwillig Militärdienst, und sie tun dies mit sichtlicher Überzeugung und Motivation.
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Rekrutierung