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Bevölkerung protestiert gegen UNO-Mission

Die Schweizer Armee engagiert sich seit 22 Jahren mit Stabsoffizieren in der UNO Mission in der Demokratischen Republik Kongo. Die Komplexität des Konflikts und die Grösse des Einsatzgebietes erschweren die Umsetzbarkeit des Mandats, was zu Unmut in der Bevölkerung führt. Im Juli 2022 richteten sich die Ausschreitungen direkt gegen Infrastruktur und Personal der UNO. Der Schweizer Stabsoffizier in Goma berichtet über seine Aufgaben und welche Auswirkungen die Proteste auf seinen Einsatz hatten.

12.01.2023 | Major Boris Iwanovsky, Stabsoffizier MONUSCO (Mission de l’Organisation des Nations Unies pour la stabilisation en République démocratique du Congo) in Goma, DR Kongo

Aufgrund der grossen Distanzen und der schlechten Verkehrswege finden Erkundungen und Truppenbesuche oft per Helikopter statt. Hier fliegt Major Boris Iwanovsky zusammen mit dem Force Commander in die Militärbasis in Kiwanja (Nord-Kivu), die sich in dem von der Rebellengruppe M23 umkämpften Gebiet befindet.
Aufgrund der grossen Distanzen und der schlechten Verkehrswege finden Erkundungen und Truppenbesuche oft per Helikopter statt. Hier fliegt Major Boris Iwanovsky zusammen mit dem Force Commander in die Militärbasis in Kiwanja (Nord-Kivu), die sich in dem von der Rebellengruppe M23 umkämpften Gebiet befindet.

Es gibt wohl keine Krise, die der Ostkongo in seiner Vergangenheit nicht erlebt hat. Nach der belgischen Kolonialherrschaft (1885–1960) folgten Unterdrückung durch diverse autoritäre Machthaber sowie der Erste und Zweite Kongokrieg (1996–1997 respektive 1998–2003) mit über sechs Millionen Toten. Mit dem Krieg und dem gleichzeitigen Zerfall der Regierungsinstitutionen bildeten sich die bewaffneten Gruppierungen, die bis heute aus verschiedenen Beweggründen aktiv sind. Derzeit befinden sich zwischen 70 und 90 solcher Rebellengruppen im Missionsgebiet der MONUSCO.

Mord, Brandschatzung, Vergewaltigungen, Raub und das Rekrutieren von Kindersoldaten sind an der Tagesordnung und lähmen die Entwicklung des Landes. Die meisten dieser bewaffneten Gruppierungen definieren sich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, andere wiederum agieren von der Demokratischen Republik Kongo aus gegen die östlichen Nachbarländer Uganda, Ruanda und Burundi. Von gewissen wird behauptet, dass sie im Auftrag von anderen Staaten handeln. Die Motivationsgründe reichen von Selbsterhaltungszweck über politische Rebellion bis hin zu religiösem Fanatismus. Eins aber haben die meisten der bewaffneten Gruppierungen gemeinsam: Sie finanzieren sich über den illegalen Abbau und Export von Mineralien wie Coltan, Gold, Kupfer und Diamanten, die auf Umwegen in die globalen Märkte gelangen. Im MONUSCO-Mandat ist deshalb der Schutz der Zivilbevölkerung als das prioritäre Ziel definiert. Nebst umfangreichen zivilen Programmen sind es die internationalen UNO-Truppen, die eine der Grundlagen für die Stabilisierung des Landes schaffen sollen: Sicherheit.

Die UNO-Truppen gliedern sich in vier Infanteriebrigaden mit einem Gesamtbestand von knapp 13000 Soldaten und Soldatinnen. Das Einsatzgebiet begrenzt sich heute auf die drei Provinzen Süd- und Nord-Kivu sowie Ituri und erstreckt sich über einen 500km breiten und 950km langen Landstreifen im Ostkongo. Die Anforderungen an die Logistik und militärische Führung sind enorm. Diese wahrlich multidimensionale Friedensmission wird in ihrer Komplexität wohl kaum von einer anderen UNO-Mission übertroffen, was sich auch in meiner Arbeit als Planungsoffizier widerspiegelt.

Als Stabsoffizier arbeite ich im Bereich Planung und Operationen. Die Planung auf operativer Stufe unterscheidet sich merklich von der taktischen Stufe. So sind zum Beispiel die Projekte, welche mein Team U5 angeht, meist mittel- bis längerfristiger Natur. Als Projektleiter wurde ich unter anderem mit dem sogenannten «Force Laydown» von vier Brigaden betraut. Hinsichtlich der geplanten Konsolidierung der Kräfte beinhaltet der Plan das Verschieben oder Schliessen von Militärbasen im gesamten Missionsgebiet sowie die Verlegung mehrerer Bataillone über hunderte von Kilometern. Die Reorganisation soll den Truppen mehr Möglichkeiten für offensive Aktionen gegen die Rebellen geben und zugleich das Entstehen eines Sicherheitsvakuums verhindern. Die äusserst komplexe Dynamik verlangt die weitreichende Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Sektoren des Einsatzgebietes und dem zivilen Arm der Mission.

Die Erkundungen und Truppenbesuche in weit abgelegenen Gebieten aller Sektoren und die enge Zusammenarbeit mit den zivilen Stakeholdern haben mein Netzwerk enorm erweitert. Als Milizoffizier bringe ich gute Voraussetzungen mit, um die militärische mit der zivilen Seite zusammenzuführen. Die Auswirkungen des «Force Laydown» auf die Sicherheitslage sind weitreichend, weshalb die Aufmerksamkeit des Force Commanders der MONUSCO stark auf meine Arbeit gerichtet ist. Die operativen Ziele von Militär und Entwicklungsarbeit in Einklang zu bringen, erweist sich dabei als eine der schwierigsten Herausforderungen, mit denen ich bis jetzt konfrontiert wurde, und die sowohl Diplomatie wie auch eine gute Kenntnis der Lage abverlangt.

Zu den vielen Dynamiken des Konflikts gehören selbstverständlich auch politische Interessen. Gerade im Hinblick auf die angekündigten Wahlen im Jahr 2023 positionieren sich diverse Gruppen und Interessensverbände. Die UNO steht unter Kritik bezüglich der Sicherheit nicht genügend erreicht zu haben und so richtet sich der Frust der Bevölkerung auch direkt gegen die UNO-Truppen, oftmals gesteuert durch Akteure im Hintergrund, die daraus politisches Kapital zu schlagen versuchen.

Ende Juli dieses Jahres fanden in mehreren Städten im Ostkongo gleichzeitig Proteste gegen die UNO statt. Die Anschläge auf UNO-Basen kamen einem regelrechten Raubzug gleich und zogen eine Verwüstung von UNO-Infrastruktur nach sich, was die Mission seit ihrem Bestehen noch nie erlebt hatte. Leider mischten sich auch bewaffnete Elemente unter die Demonstrierenden. Über mehrere Tage wurde in Goma geschossen sowie UNO-Infrastruktur gestürmt und in Brand gesteckt. Dabei kamen 36 Menschen ums Leben, darunter vier Peacekeeper. Zudem wurden die Privathäuser der UNO-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Kreide markiert, um ihr Privateigentum zu plündern. In den Strassen befanden sich lokale Beobachter, die jede Bewegung genau verfolgten und meldeten. Es war klar zu erkennen, dass die Ausschreitungen über weite Teile der drei Provinzen einem klaren Drehbuch folgten und aus dem Hintergrund koordiniert wurden.

Als «Senior National Representative» (SNR) bin ich das Bindeglied zwischen dem Kommando SWISSINT und den Schweizer Angehörigen der Mission. Demzufolge habe ich die Verantwortung mit ihnen zusammen Handlungsrichtlinien zu entwickeln und im Notfall unsere Evakuierung aus Goma zu koordinieren. Da wir an mehreren Standorten präsent sind, brauchte es mehrere Eventualplanungen. Dabei stand ich im täglichen Austausch mit dem Tactical Operation Center des Kompetenzzentrums SWISSINT. Auch die Zusammenarbeit mit der Schweiz und den internationalen Partnern verlief reibungslos: Innert kürzester Zeit waren die Kanäle zum EDA und VBS offen und das Krisenmanagementzentrum in Bern wurde aktiviert. Nach mehreren Tagen brachte die kongolesische Armee die Lage unter Kontrolle– dank des korrekten Verhaltens der Schweizer Armeeangehörigen und der getroffenen Massnahmen konnte eine Evakuation verhindert werden. Im Krisenfall die richtigen Entscheidungen zu treffen, bedingt gut vernetzt zu sein und Informationen zeitnah verarbeiten zu können. Meine Schweizer Kollegen und ich konnten auf wertvolle Informationen aus UNO, NGOs sowie lokalen Quellen zurückgreifen, um das Lagebild laufend zu aktualisieren. Auch die im Vorfeld geknüpften Kontakte mit unseren europäischen Partnern vor Ort erwiesen sich als entscheidend während dieser Krisensituation.

In wenigen Monaten werde ich meinen Einsatz hier beendet haben, aber für die Mission bleiben einige Herausforderungen zu meistern. Um das Mandat effektiv umsetzen zu können, ist wohl eine Neuorientierung der Mission erforderlich und dies bedingt eine gründliche Lagebeurteilung für die zivile, aber vor allem für die militärische Seite. Ein angepasster Mitteleinsatz, ergänzende militärische Fähigkeiten und robustere Einsatzverfahren wären ein erster Schritt die Effektivität der UNO-Truppen zu steigern und den Menschen in der Demokratischen Republik Kongo mehr Sicherheit zu bringen. Eines aber bleibt klar: Die Stabilisierung des Landes wird nicht allein von einer militärischen Lösung abhängig sein.


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