In der Hitze gewinnt der kühle Kopf
Die Sonne steht im Zenit. Noch herrscht Ruhe im Industriequartier. Die Sonnenstrahlen brennen auf den offenen Asphalt. Um den Platz ragen vier Betonbauten empor. Die Gegenseite hat sich im Gebäudekomplex verschanzt. Die Abriegelung und Durchsuchung stellt eine brenzlige Herausforderung dar.
14.06.2022 | JA
Das Szenario war klar. Eine gegnerische gewaltbereite Gruppierung hat sich im Industriegebiet verschanzt. Beim Eintreffen der Kameraden aus der Geb Inf Kp 30/1 wurde unverzüglich das Feuer auf sie eröffnet. Sofort musste das Areal abgeriegelt und die verletzten Kameraden unter dem Einsatz von Feuer und Bewegung geborgen werden. Den Einsatzkräften wurde schnell der Ernst der Lage bewusst. Dank schnellem und koordinierten Handeln erlangen die Truppen in kürzester Zeit die Kontrolle über die Zufahrt der Kampfzone und der Gegner konnte isoliert werden. In Sichtdistanz zum Feind galt es nun einen kühlen Kopf zu bewahren und geeigneten Plan zur Durchsuchung zu schmieden. Die grossen Unbekannten dabei sind die unbekannte Anzahl Gegner sowie deren genaue Aufenthaltsorte und Ausrüstung.
Aus dem gesicherten Halt plante der Zugführer das schrittweise Vorrücken. In einem ersten Schritt bewegte sich das Spitzenelement des Zuges unter dem Schutz eines geschützten Mannschaftstransportfahrzeuges (GMTF) auf der linken Flanke vor hin zur Industriehalle. Mit taktischem Geschick tasteten sie sich entlang der Aussenmauer vorwärts bis ein passender Einstiegsort identifiziert wurde. Mit schnellem und zielgerichteten Handeln stürmen sie den Raum und schalten den Gegner aus. Mit diesem Raumgewinn erlangen Sie die Kontrolle über die Hälfte des Areals. Mit dem Eckhaus diagonal gegenüber bleibt ein letzter Rückzugsort in gegnerischer Hand. Da das Feld zu diesem Hause offen zugänglich ist, stellt ein Zugriff darauf eine äusserst riskante Angelegenheit dar.
In der Hitze des Gefechts entscheiden sich die Infanteristen für das geschützte Vorrücken mit Deckungshilfe von zwei GMTF. Dank geschicktem Vorgehen mittels Feuer und Bewegung gelangen sie rasch zum Zielobjekt. Es ist jedoch nach wie vor unbekannt, was sie dort und, noch viel wichtiger, darin erwarten würde. Das Kommando lautete «Säuberung des Objekts», woraufhin die vorgerückten Gruppen das Gebäude stürmten und in den riskanten Häuserkampf übergehen. Auge in Auge mit dem Gegner kämpfen sie in den Räumlichkeiten. Intensive Schusswechsel sind die Folge. Das Resultat ist für beide Seiten ernüchternd. Schliesslich verlassen gerade mal zwei Kameraden mit zwei festgenommen Gegnern das Haus.
Nachdem die Schlussbilanz gezogen wurde folgt das Debriefing des Einsatzes durch die Übungsleitung. Major im Generalstab Rolf Brülisauer, seines Zeichens Übungsleiter, lobt eingangs den effektiven und zielführenden Stellungsbezug der Truppe. Die Sicherung sowie das Bergen der ersten verwundeten Kameraden erfolgte taktisch geschickt und erfolgreich. Auch das anschliessende Vorrücken meisterten die Einsatzkräfte gut, sodass der Gegner bereits in die Enge getrieben werden konnte. Dann stellte er die Frage in den Raum wieso mit so viel Feuerkraft die letzten Meter in Angriff genommen wurden. «In Anbetracht der offensichtlichen Überlegenheit spielt euch die Zeit in die Hände. Wieso nicht aus dieser Position der Stärke die Verhandlung und das Gespräch mit dem Gegner suchen?» Sie waren bereits in einer ausweglosen Situation. Für den finalen Zugriff zahlt ihr nun einen hohen Preis. «Der Eigenschutz ist von höchster Bedeutung. Wer in diesen Situation einen kühlen Kopf bewahrt vermag den Sieg unter Umständen ohne oder mit minimalem Gefecht zu erringen.»
Die heutige Übung unterstreicht die Wichtigkeit von Training und Repetition. Die mentale Vorbereitung eines jeden sowie die routinierten Abläufe im Kampfeinsatz sind der Schlüssel zum Erfolg.