Kampfjet-Debatten: Schweizer Eigenheit oder europäischer Normalfall?
Die diesjährige Herbsttagung der Militärakademie (MILAK) an der ETH Zürich widmete sich dem vermeintlich besonderen Verhältnis der Schweiz zum Thema Kampfflugzeug-Beschaffung. Ein Blick auf andere europäische Kleinstaaten zeigt jedoch, dass grosse Teile der politischen Debatten ähnlich verlaufen und die jeweiligen Staaten vor vergleichbare Herausforderungen stellen.
02.10.2023 | Kommunikation Kommando Ausbildung, Michael Senn

Einen «lauwarmen Aufguss» nannte Tagungsleiter Michael Olsansky die hiesige Debatte um die Beschaffung der F-35. Er fühlte sich dabei an die Diskussionen rund um den geplanten Gripen-Kauf aus dem Jahre 2014 erinnert. Zusammen mit der 1993 stattgefundenen Abstimmung zur F/A-18 bringt es die Schweiz auf drei Volksabstimmungen über Kampfflugzeuge innert drei Jahrzehnten.
Diese Umstände haben den Ausschlag für die Themenwahl der diesjährigen MILAK-Herbsttagung gegeben. Aus militärhistorischer Perspektive wurden Kampfflugzeugbeschaffungen europäischer Kleinstaaten an den Beispielen Österreichs, Belgiens und Dänemarks seit den 1970er-Jahren verglichen. Der Kommandant, Brigadier Hugo Roux, durfte dazu zahlreiche Gäste, internationale Referierende und namhafte Podiumsteilnehmer begrüssen.
Die Draken-Beschaffung Österreichs
Österreich, das sich als neutraler Staat im gleichen strategischen Raum bestens als Vergleichsgrösse eignet, konnte 1989 die Beschaffung von 24 Saab J-35X «Draken» abschliessen. Diesem Rüstungsgeschäft waren ein Vierteljahrhundert an Evaluationen, Verhandlungen und Umdenken bedingt durch Regierungswechsel vorausgegangen. Der Militärhistoriker Roland Schaffer berichtete von «Gräben, die quer durch alle politischen Parteien, die Bevölkerung und das gesamte Bundesheer» liefen und die noch jahrzehntelang bestanden.
Dänemark kauft die F-16
Stolze 348 Kampfflugzeuge des Typs F-16 wollten die Staaten Belgien, Niederlande, Norwegen und Dänemark gemeinsam beschaffen, um ihre jeweiligen Luftwaffen zu modernisieren. 1980 war die Beschaffung von insgesamt 48 Maschinen in Dänemark abgeschlossen. Claudia Læssøe Pedersen führte aus, wie die 1973 eingetretene Ölkrise die politische Debatte stark beeinflusst hatte. Die mit den USA ausgehandelten Konditionen brachten einen Technologieschub mit sich, von dem die dänische Industrie noch heute profitiert.
Kein französischer Kampfjet für Belgien
Ähnlich wie in der Schweiz wird auch in Belgien bei Kampfflugzeug-Beschaffungen auf den «grossen Nachbarn» Frankreich geschielt, dessen Maschinen bei jeder Evaluation dabei sind. Und gleich wie die Schweiz (und Dänemark) entschied sich auch Belgien für die F-35, um seine F-16-Flotte abzulösen. Vincent Joassin von der Royal Military Academy konnte aufzeigen, wie Belgiens Regionen, Landessprachen, Wirtschaft und Parteien den jeweiligen politischen Diskurs beeinflussten.
Eine Frage der Doktrin und des Preises
Peter Mertens (MILAK/ETHZ) beleuchtete schliesslich den 1976 beschlossenen Kauf des F-5 «Tiger». Bei der Beschaffung spielte, wie so oft, eine Vielzahl von Motiven eine Rolle. Ausschlaggebend waren letztlich aber eine neue Luftkriegsdoktrin, welcher der Tiger als Raumschutzjäger ausgezeichnet entsprach. Auch der konkurrenzlos günstige Kaufpreis spielte eine gewichtige Rolle. Am Tiger-Beispiel scheint auch durch, dass bei den schweizerischen Kampfflugzeugbeschaffungen seit den 1970er-Jahren die helvetischen Eigenheiten nicht auf die starke direkte Demokratie oder die damit einhergehenden Volksabstimmungen beschränkt bleiben.
Andreas Gross hat als Mitbegründer der «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» grossen Anteil an diesem Umstand. In der Podiumsdiskussion schaffte er zusammen mit Rudolf Jaun (Universität Zürich) und Elmar Plozza (SRF) einen Gegenpol zur «militäraffirmativen Warte» der Referierenden. Divisionär Claude Meier, ein ehemaliger F/A-18-Pilot, fasste die Diskussion mit einem in der Flugbranche berühmten Sprichwort treffend zusammen: «Ein Kampfflugzeug hat vier Dimensionen: Die Länge, die Breite, die Höhe und die Politik.»
MILAK Herbsttagung 2024
Die nächste Herbsttagung findet am 14. September 2024 statt. Militärökonom Markus Keupp leitet den Anlass zum Thema «Die Welt nach dem russisch-ukrainischen Krieg».