Ein Blick nach Bosnien-Herzegowina
Seit 2004 beteiligt sich die Schweizer Armee an der Mission ALTHEA der European Union Force (EUFOR). Dieses Engagement in Bosnien-Herzegowina stellt neben dem Einsatz der SWISSCOY im Kosovo die zweite Mission auf dem Balkan dar. Ausgebildet werden die Angehörigen beider Missionen in einem gemeinsamen Ausbildungskurs bei SWISSINT in Stans-Oberdorf. Hierbei lernten auch die Angehörigen der EUFOR 33, dass die Aufträge der KFOR und der EUFOR zwar ähnlich, aber die Einsätze dennoch unterschiedlich sind. Nach rund 4 Monaten im Einsatz berichtet Vera Wagner, Observerin im Liaison and Observation Team in Trebinje von ihren Erfahrungen.
24.03.2021 | EUFOR LOT 33, Sdt Vera Wagner

1992 wurde mit der Präsenz der UNPROFOR (United Nations Protection Force) der Grundstein der militärischen Friedenseinsätze im damaligen Yugoslawien gelegt. Die anschliessenden Nachfolgemissionen, zunächst die IFOR (Implementation Force) und danach die SFOR (Stabilization Force), wurden 1995 an die NATO übergeben und trugen durch die militärische Präsenz von rund 60’000 Soldaten dazu bei, das damals frisch in Kraft getretene Dayton-Abkommen umzusetzen. Basierend auf der UNO-Resolution 1575 führt die European Union Force (EUFOR) den Friedenseinsatz nun seit 2004 im Rahmen der Mission ALTHEA mit noch 600 Angehörigen weiter. Die Schweizer Armee ist dabei an drei Standorten und mit insgesamt 20 Soldatinnen und Soldaten vertreten: im Hauptquartier der EUFOR und im LOT Coordination Center im Camp Butmir in Sarajevo, sowie den beiden Liaison and Observation Teams (LOT) in Mostar und Trebinje. Letztere setzen sich in der EUFOR in ihren Funktionen mit der Beurteilung der Lage und Stimmung vor Ort auseinander und bilden damit das Frühwarnsystem der Mission. Funktionen, die man von der SWISSCOY kennt, wie eine Lastwagenfahrerin oder einen Instandhaltungsspezialisten, gibt es von uns Schweizern hier nicht. Unterschiede zwischen der Schweizer Beteiligung an der EUFOR und der SWISSCOY sind aber nicht nur im Personalbestand oder der Funktionsvielfallt bemerkbar: die Distanzen zwischen den Standorten sind gross und als Team sind wir oftmals auf uns alleine gestellt.
Als Observerin des LOT Trebinje ist die Gesprächsführung ein täglicher Bestandteil meiner Aufgaben. Jeweils zu zweit und mit einem lokalen Übersetzer halten wir die Gespräche in der Regel vornehmend mit Behörden, Politikern, Vertretern von Institutionen und Leuten aus der Verwaltung in unserer Region ab und fühlen dadurch den Puls der Bevölkerung. Zuhanden des Hauptquartiers der Mission fassen wir die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Informationen täglich in einem Bericht zusammen. Diese gesammelten Beobachtungen dienen der EUFOR als Grundlage, um ein Lagebild über das ganze Land zu erstellen und mögliche Tendenzen oder Eskalationspotentiale frühzeitig zu erkennen. Aufgrund von COVID-19 mussten auch wir unsere Auftragsausführung anpassen – indem wir zeitweise den Kontakt beispielsweise per Telefon weiter pflegten. Weiterhin besteht unsere Aufgabe darin, in sämtlichen Ecken unseres Zuständigkeitsgebietes (Area of Operation, AOO) die Präsenz der EUFOR zu zeigen. Auf unseren Patrouillen entdeckten wir so ein Gebiet mit einem Durchmesser von rund einhundert Kilometer, das die verschiedensten Landschaftsformen umfasst: in nur zwei Stunden fährt man durch verschneite Berge, schier endlose steinige Hügellandschaften, welche typisch für die Herzegowina sind, durch Weinreben und Nadelwälder bis hin zum sonnigen Sandstrand am Meer in Neum. Die zahlreichen Strassen und Strässchen mit den unendlich vielen Kurven kennen wir mittlerweile beinahe besser als die Taschen unserer Tarnanzüge. Da wir uns während unserer Patrouillen meistens bei einem lokalen Stand oder Restaurant verpflegen, wissen wir mittlerweile auch, dass es den besten Burek in Stolac, die schärfsten «Feferoni» am Strassenrand kurz vor Prhinje und die knackigsten Äpfel in der Ebene des Popovo Polje in der Nähe von Ravno gibt.
Nach Arbeitsschluss, nachdem unsere Rapporte das LOT-Haus verlassen haben und im Camp Butmir in Sarajevo weiterverarbeitet werden, sowie wenn am Abend keine weiteren Aufträge anstehen, kommt der Zeitpunkt, an dem wir unsere Uniform zurück in den Schrank hängen und unsere Freizeit in ziviler Kleidung verbringen können – jedenfalls jene im Team, die nicht als «House Duty» eingeteilt sind und damit Pikettdienst haben. Besonders am Day-Off – wir arbeiten sechs Tage in der Woche – nutzen wir die Gelegenheit und entdecken zusammen die Schönheiten der Herzegowina, der Hauptstadt oder dem Rest des Landes. Nicht selten besuchen wir aber auch historische Stätten wie beispielsweise Srebrenica, Schauplatz des Kriegsverbrechens während des Bosnienkriegs, welches 1995 den traurigen Zenit des Krieges bedeutete. Dadurch erhalten wir ein weiteres wertvolles Bild dieses Landes, was uns wiederum im beruflichen Alltag zugutekommt.
In den vergangenen Monaten konnten wir uns auch von unserer AOO ein genaueres Bild machen. Hier wurde im Verlauf der letzten Jahre viel gebaut. Alleine in Trebinje entstanden im Zuge des Wiederaufbaus neue Grünflächen, Parks, Brunnen und Denkmäler. Aber nicht nur das urbane Leben wird laufend verbessert, auch in den umliegenden Dörfern werden Strassen geteert und Einkaufszentren errichtet – ausländische Investoren hinterlassen ihre Spuren im ganzen Land. Vor allem die grösseren Städte bereiten sich auf künftige Touristenströme vor, insbesondere aus dem Ausland. Dennoch bleibt der Wohlstand aus, das erarbeitete Geld wird von der komplizierten Administration der Staatsverwaltung gefressen oder fällt oftmals der Korruption zum Opfer, wie wir aus unseren Gesprächen erfahren. Längst nicht alle Spuren der vergangenen Jahrzehnte konnten deshalb beseitigt werden. So führen uns unsere Patrouillen durch Städte, Dörfer, Siedlungen und alles was davon übrig geblieben ist seit den kriegerischen Auseinandersetzungen der österreichisch-ungarischen Zeit, den Balkankriegen vor dem ersten Weltkrieg und den Massakern der Neunziger Jahre. Kaum vergeht ein Tag, an welchem wir nicht mit den augenfälligen Überbleibseln vergangener Generationen konfrontiert werden und Ruinen, leerstehende Fabriken, zerschossene Häuser und verlassene Quartiere zu sehen bekommen. Die Fassaden mit den unzähligen Einschusslöchern inmitten der Stadtzentren gehören längst zum Alltag und die leerstehenden Bäckereien und ehemaligen Shops sind mit Geröll und leeren Pet-Flaschen zugemüllt. Sie erinnern erstens tagtäglich daran, was dieses Land in den vergangenen Jahrzehnten alles durchgemacht hat und zeigt, dass das Gewesene noch nicht verarbeitet ist. Die gesellschaftlichen Animositäten sind nach wie vor in den Köpfen der Bevölkerung präsent, die Gesellschaft ist grösstenteils immer noch tief gespalten. Zweitens zeigt es auch die wirtschaftliche Situation des Landes und widerspiegelt teils einen politischen Unwillen, überhaupt etwas im Sinne des Gemeinwohls zu verändern. Anstelle verhärten sich die Fronten immer weiter, nationalistische und sezessionistische Strömungen wachsen besonders auf politischer Ebene. Es sind genau diese Bilder, die uns schlussendlich daran erinnern, weshalb die EUFOR in Bosnien-Herzegowina auch 25 Jahre nach Kriegsende noch tätig ist und weshalb wir heute als LOT letztlich vor Ort sind.
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