Als Peacekeeper in zweiter Generation in der MINURSO
1991 schickte die Schweizer Armee eine Swiss Medical Unit (SMU) zugunsten der UNO-Mission MINURSO in die Westsahara. Mit dabei waren meine Eltern, die sich dort kennenlernten und einen zweijährigen Einsatz leisteten. 33 Jahre nach ihrem Einsatzbeginn diene ich als Militärbeobachter in derselben Mission.
Ein Beitrag von Hauptmann Guido Haefeli, Militärbeobachter MINURSO
«Ja, ich bin der, dessen Eltern schon hier waren». Diesen Satz gebe ich hier in der Westsahara oft von mir. Mit etwas über 200 Militärbeobachterinnen und -beobachtern ist die MINURSO eine kleine UNO-Mission und meine Familiengeschichte hat sich rasch herumgesprochen. Aber beginnen wir am Anfang.
1991 entsandte die Schweizer Armee die «Swiss Medical Unit» (SMU) mit bis zu maximal 85 Frauen und Männern in die Westsahara, um die medizinische Versorgung innerhalb der UNO-Mission MINURSO zu gewährleisten. Meine Eltern waren Teil des ersten SMU-Kontingents: Meine Mutter war als Intensivkrankenschwester eingesetzt, während mein Vater als Transportpilot die Propellermaschine «Twin Otter» flog. Sie kamen nicht als Paar in die Westsahara, sondern lernten sich in der Mission kennen.
Peacekeeper Einsatz prägte meine Eltern
Als sich meine Eltern 1991 für den friedensfördernden Einsatz in der Westsahara meldeten, hiess es, dass die Mission sechs Monate dauern würde. Die UNO-Truppen sollten den Waffenstillstand zwischen der marokkanischen Armee und der Frente POLISARIO, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara einsetzt, überwachen. Derweilen sollte die zivile Komponente der Mission das Referendum in der Westsahara organisieren. Doch das Referendum wurde bis heute – 33 Jahre nach Beginn der MINURSO – nicht durchgeführt.
In der Folge verlängerte sich der Einsatz meiner Eltern von ursprünglich sechs Monaten auf zwei Jahre. Es war eine Erfahrung, die beide geprägt hat. Als Kind hörte ich oft Geschichten über ihre Zeit in der Westsahara. Meine Mutter erzählte von den ärmlichen Verhältnissen der einheimischen Sahraoui, von den vielen Kindern mit Augenleiden aufgrund des Wüstensands und von den durch Landminen schwer verletzten UNO-Soldaten. Mein Vater berichtete von den miserablen Bedingungen in den Flüchtlingslagern der Sahraoui im algerischen Tindouf, von der extremen Hitze und wie der Wüstensand der Propellermaschine zusetzte. Beide nagen noch heute am Verlust von zwei ihrer Landsleute: Eine Schweizer Krankenschwester verstarb 1992 durch einen Verkehrsunfall in der Westsahara und ein Schweizer Pilot kam 1993 am Steuer seiner Pilatus PC-6 durch einen Flugzeugabsturz in der Westsahara ums Leben. Im August 1993 beendete die Schweizer Armee ihr Engagement und zog die SMU aus der MINURSO ab, beteiligt sich aber seit 2014 mit Militärbeobachtern wieder an der Mission.
Militärbeobachtereinsatz war mein Ziel
Der Einsatz meiner Eltern in der Westsahara hat auch mich geprägt und den Wunsch entfacht, ebenfalls einen friedensfördernden Einsatz in einer UNO-Mission zu leisten. Als ich mit 19 in die Rekrutenschule einrückte, hatte ich ein Ziel vor Augen: Offizier werden und später als UNO-Militärbeobachter in die Westsahara gehen. Wie sich nun zeigt, sollte ich dieses Ziel erreichen. Nach dem Abverdienen als Zugführer schloss ich mein Journalismus-Studium an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ab, diente in der SWISSCOY in Kosovo und machte danach ein einjähriges Hochschulpraktikum an der schweizerischen Botschaft in Indien. Vergangenen Sommer war es dann soweit: Ich absolvierte den UNO-Militärbeobachterkurs SUNMOC im Kompetenzzentrum SWISSINT und flog Ende September 2023 im Alter von 25 Jahren in die Westsahara.
Unterwegs in der Westsahara
Als Militärbeobachter bin ich momentan auf der von Marokko besetzten Seite stationiert. Die Westsahara ist durch den 2700 km langen marokkanischen Sand- und Minenwall «Berm» geteilt. Der wesentlich grössere Teil liegt westlich des «Berm» und wird von Marokko kontrolliert. Die Gebiete östlich des «Berm» liegen unter der Kontrolle der Frente POLISARIO.
Mit circa 20 anderen Militärbeobachterinnen und -beobachtern bin ich auf einer Teamsite stationiert. Das Gebiet, für welches wir zuständig sind, ist grösser als die Schweiz. Auf unseren Patrouillen besuchen wir die marokkanischen Einheiten am «Berm» und verifizieren deren Stärke an Truppen und Material. Als meine Eltern in der Westsahara dienten, war der Waffenstillstand intakt und stabil. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Im November 2020 kündigte die Frente POLISARIO den Waffenstillstand auf. Ihrer Ansicht nach hatten die Sahraoui damals bereits seit 29 Jahren vergeblich auf die Durchführung eines Referendums gewartet. Der internationalen Gemeinschaft werfen die Sahraoui Gleichgültigkeit vor. So kommt es nun immer wieder zu Kampfhandlungen in der Westsahara.
Auch 33 Jahre nach dem Einsatzbeginn meiner Eltern in der Westsahara und meinen Einsatz in zweiter Generation in der MINURSO ist keine nachhaltige und friedliche Lösung des Konflikts in Sicht. Hoffentlich wird nicht eine dritte Generation meiner Familie in der Westsahara dienen.

